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Emil

Unser Leben mit einem Dyspraxie-Kind

Auch ein kurzes Leben kann einen langen Leidensweg bedeuten!

Emil war von Geburt an ein besonderes Kind. Er wurde mit 5520 Gramm und 59 cm Körpergröße geboren. Es lag keine Schwangerschaftsdiabetes vor, auch andere „messbare“ Krankheiten konnten ausgeschlossen werden.

Dennoch hatte er bereits als Säugling große Probleme. Er konnte nicht richtig Trinken, hatte Probleme mit dem Saugen und Schlucken. Er hungerte und verlor massiv an Gewicht, er schrie Stunden vor Hunger und versuchte in der übrigen Zeit am Tag irgendwie zu trinken. Die Ärzte begrüßten das, schließlich habe er genug Gewicht mit auf die Welt gebracht. Mein Einwand, dass es nicht normal sei, dass ein Baby derartige Probleme habe und so viel Gewicht verliere, wurde als überbesorgte „Helikopter-Mutter“ abgetan.

Stattdessen bekam wir im 3. Lebensmonat wegen des anhaltenden Schreiens die Diagnose KISS-Syndrom und das erste Krankengymnastik-Rezept. Diesem Rezept folgten noch sehr, sehr viele weitere Krankengymnastik-Rezepte. Wir waren bis zum 2. Lebensjahr durchgängig in Behandlung beim Krankengymnasten. Trotz dieser Unterstützung und den Übungen zu Hause: Krabbeln mit 12 Lebensmonaten, unsicher - aber frei, Laufen mit 22 Monaten.

Die Sprachentwicklung dagegen verlief unauffällig.

Dennoch merkte ich, dass die motorischen Probleme seine kognitive Entwicklung hemmten. Ihm fehlten einfach viele Lernerfahrungen, die nur durch sichere Bewegung möglich waren. Deshalb suchte ich weiter nach Hilfe. Ab dem 3. Lebensjahr psychomotorisches Turnen bis zum 5. Lebensjahr (auf eigene Kosten). Dann Ergotherapie (Krankenkassenleistung) und Graphomotorik-Kurs (auf eigene Kosten) im Vorschuljahr.

Im Grunde hat er die ersten 6. Lebensjahre ununterbrochen in irgendwelchen Maßnahmen für die Verbesserung seiner motorischen Fähigkeiten gesteckt. Das wirklich Fatale daran – alle ohne wirklichen Erfolg. Vielmehr wurde ihm jede Woche wieder vor Augen geführt, was er NICHT konnte und augenscheinlich auch niemals lernen würde.

Hilfe & Unterstützung - Fehlanzeige!

Er kämpfte um jeden motorischen Entwicklungsschritt wie ein Löwe, aber es ging ihm dabei sozial / emotional immer schlechter. Er lernte Bewegungsabläufe des Alltags wie An- / Umziehen, ein Brot schmieren, Zähne putzen, Schuhe anziehen und verschließen viel langsamer als andere Kinder.

Von sportlichen Aktivitäten hielt er sich grundsätzlich fern – er wollte und konnte nicht schnell laufen, hüpfen, springen oder werfen. Entweder stürzte er dabei oder wurde ausgelacht. Spätestens im Kindergarten wurde ihm all dies schmerzlich bewusst. Auch weil die anderen Kinder ihn deutlich spüren ließen, dass sie ihn für ein wenig dumm und ungeschickt hielten. Niemand wollte ihn in seinem Team haben.

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Bildquelle: pixabay.com / Fotograf cherylholt

Auch der Kindergarten machte massiv Druck.

Seine Mundmotorik sei zu schlecht, er sabbere wie ein Baby, ich solle ihm mehr Möhren zum Kauen geben. Seine Grobmotorik sei zu schlecht, ich solle mehr mit ihm auf den Spielplatz gehen. Seine Feinmotorik sei zu schlecht, ich solle mehr mit ihm malen. Mehr üben - mehr üben – mehr üben! Häufig mit dem Begleitsatz: „Wenn man so viele Kinder hat, geboren wie die Orgelpfeifen, kann ja schon mal ein Kind hinten runterfallen.“

Zumeist habe ich diese Gespräche mit Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit verlassen. Was soll ich als Mutter noch dazu sagen, wir steckten schon längst in der Schublade „überforderte Großfamilie“. Ich brauchte aber all meine Kraft für meinen Sohn und konnte nicht auch noch mit den Erzieherinnen über meine Beweggründe für 4 Kinder diskutieren.

Ich bin zu dieser Zeit fast verrückt geworden – was glaubten all die Erzieher, Therapeuten und Ärzte? Dass wir zu Hause den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und uns nicht bewegen? Heute weiß ich, ich habe Emil mit den Übungen und Therapiesitzungen gequält. Weil ich einfach zu gerne glauben wollte, was mir alle Glauben machen wollten: Wir müssen nur genug Üben, dann wächst sich das schon aus.

Es ging Emil zu dem Zeitpunkt psychisch sehr schlecht. Er hatte massive Schlafstörungen, das ständige Erleben des eigenen Versagens (beim Üben, in den Therapiestunden) führte zu Selbsthass bis hin zu Selbstverletzungen (er schlug sich selbst massiv an den Kopf, weil er meinte, sein Gehirn sei krank). Mittlerweile waren wir uns in der Familie aber tatsächlich einig – es kann nicht nur am „Üben“ liegen.

Emil hat zwei ältere Geschwister, die haben nicht mal die Hälfte an Energie aufgewendet um z.B. das Anziehen zu erlernen.

Da Emil´s Sozialverhalten und seine Motorik im Kindergarten auch immer auffälliger wurden, war auch dem Kindergarten mittlerweile klar, dass es keine reine „Übungssache“ war. So herrschte zum Ende der Kindergartenzeit Einigkeit: Es muss eine andere Ursache geben! Nun kämpften wir gemeinsam für Emil!

Emils komplette Geschichte ...

... kann man in unserem Buch Dyspraxie-Kinder nachlesen.