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Fridolin

Die fehlende Akzeptanz schmerzt ...

Als ich gebeten wurde, einen Bericht über unser Leben mit unserem Dys-Kind zu schreiben und meine Erfahrungen mitzuteilen, habe ich schnell zugesagt. Ich dachte, ja, ich habe so viel zu berichten. Unser Sohn ist mittlerweile 12 Jahre alt. Da gibt es viel zu erzählen! Mir war aber zunächst nicht bewusst, dass ich so viel zu erzählen haben würde und habe überlegt, wo ich anfange. Letztendlich war schon die Schwangerschaft und Geburt aufregender, als bei unserer großen Tochter, wo alles „nach Plan“ verlief. Die Schwangerschaft folgte einem Verlustkind, sodass ich am Anfang erst zögerlich die Freude zulassen konnte und getrieben wurde von der Angst, ob diesmal alles gut gehen würde.

Zum Glück ging bis auf einige Kleinigkeiten alles gut. Es war eine sehr schnelle Geburt und wir waren sehr erfreut, dass unser Sohn noch nicht ganz auf dieser Welt, schon schrie. Später stellte sich heraus, dass er so weinte, weil er vermutlich Schmerzen hatte, denn es war zu einem Schlüsselbeinbruch gekommen. Dies ist primär nichts ganz Ungewöhnliches. Sehr ärgerlich war nur, dass weder die Hebamme noch der Arzt es festgestellt hat. Mir selber ist es am 4. Tag aufgefallen. Dadurch bedingt, entwickelt er früh eine Asymmetrie mit einer Lieblingsseite. Das war auch der Grund, warum wir mit 6 Wochen schon mit Physiotherapie gestartet haben. Mir wurde immer die Patientenkarte in die Hand gedrückt, um in die erste Etage zur Kinderphysiotherapie zu gelangen.

Während der Wartezeit habe ich ...

... da einen Blick reingeworfen und musste feststellen, dass die Physio ihn als deutlich verzögert und „small for date“ bezeichnete. Das hat mich schon sehr erschrocken und auch getroffen. Er war als propperes Kerlchen mit 3650 g geboren, also alles andere als „small for date“, allerdings gab es Gedeihstörungen, die auch wöchentlich beim Kinderarzt kontrolliert wurden.

Das lag an seiner Trinkschwäche. Das Saugen an der Brust hat ihn einfach viel Kraft gekostet und das Schlucken war schwer für ihn. Wenn er getrunken hat, war er sehr geschickt, um seine Probleme in den Griff zu bekommen. Er hat gesogen und dann, wenn der Milchfluss kam, der ihn von der Menge überfordert hat, hat er einfach den Kopf zur Seite gedreht und ist erst dann wieder gemütlich an die Brust gegangen, als die Mengen kamen, die er dann auch schlucken und bewältigen konnte. Zudem hat er viel gespuckt.

Aber verzögert?

Was muss ein Kind mit wenigen Wochen können? Es muss doch zunächst erst einmal auf dieser Welt ankommen! Oder?

In dem Moment ist mir klar geworden, was die Gesellschaft für Erwartungen an Kinder hat, wie viel Druck aufgebaut wird, etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt leisten zu können, Entwicklung nach Bilderbuch vorweisen zu können, zu funktionieren, wie es erwartet wird und keinen Raum für eigenes Tempo gegeben wird!

Nun ja, unter der hoch motivierten und sehr engagierten Physio entwickelte er sich schnell und er gehörte im PEKiP Kurs nahezu immer zu den Vorreiterkindern. Er konnte als erster robben (5 Monate), krabbeln (7 Monate), sitzen (7,5 Monate), sich hochziehen (8 Monate) und konnte bereits mit 10 Monaten einen Karton vor sich herschiebend durch den Raum laufen. Zum freien Laufen kam er allerdings erst mit gut 18 Monaten. Das war natürlich auffällig. Bei allen gingen die Alarmglocken los und schon kamen wir in die gesamte Maschinerie der Diagnostik.

Wir hatten dann einen Termin in der neuropädiatrischen Ambulanz, wo ein EEG geschrieben, ein MRT gemacht und eine gründliche Herzuntersuchung in der Herzklinik durchgeführt wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Ultraschalluntersuchung, wo ein Student anwesend war und der Arzt ihm immer sagte, wie klar das zu sehen wäre, wie eindeutig usw.. Das Ganze ging über fast 35 Minuten, in denen ich auf meinem Stuhl immer tiefer sank in der Vorahnung, dass ein schlimmer Herzfehler vorliegen würde, ähnlich dem einer Bekannten, wo das Kind mit knapp 2 Jahren verstorben ist. Am Ende sagt der Arzt dann freundlich: “Es ist alles ok!“. (Wie wenig einfühlsam kann man sein!)

Die Ärztin aus der Neuropädiatrie ...

... diskutierte erst mit uns, ob es ein traumatisches Erlebnis geben würde, warum er nicht laufen würde und dreht sich dann zum Bildschirm mit der EEG Aufzeichnung um und donnerte mir vor den Kopf, dass er Epilepsie hätte und dringend Medikamente bräuchte.

Wir würden mit dem einfachen Medikament „Ospolot“ beginnen, dann würde auch die Sprache in Gang kommen. Ich war absolut geschockt, auch über die unsensible Art, es mir mitzuteilen. Einen Anfall, wie man ihn sich vorstellt, hatte er nie gehabt, jedoch mehrmals täglich viele kurze Abscencen-ähnliche Episoden. Da er aber sowieso ein sehr ruhiger Geselle war, wollten wir keine Medikamente geben, die ihn noch zusätzlich „runterfahren“. Deshalb haben wir uns für eine Zweitmeinung in einem anderen Krankenhaus entschieden.

Da hat man zwar die Potenziale gesehen, aber ein durchgeführtes 24 Stunden EEG (Das Kind ist dabei über 24 Stunden an einer Aufzeichnung angeschlossen und hat einen Bewegungsradius von ca 2,5 m, was für ein knapp 2 jähriges Kind und seine Mutter eine echte Herausforderung ist!) hat gezeigt, dass es sich nicht um eine behandlungsbedürftige Epilepsie handelt. Im Nachhinein interpretiere ich diese Zustände als ein „Wegbeamen“, wenn er überreizt war. Das macht er vereinzelt noch heute. Das MRT zeigte eine verspätete Myelinisierung und war somit eine gute Begründung für die Entwicklungsverzögerung. Mit dieser Diagnose begannen wir dann mit knapp 2 Jahren mit der Frühförderung, die wir 3 Jahre komplett durchgehend besucht haben - immer mit dem Schwerpunkt Heilpädagogik (das gesamte Erlernen von normalen Dingen, wie Farben, Zahlen, Formen etc. fiel ihm schwer und brauchte Zeit) und dann je nach Bedarf

  • Physio ( muskuläre Hypotonie, kein Überkreuzen der Mittellinie),
  • Logo (zögerliche Sprachentwicklung, oftmals nur Wortrudimente wie Bau = Baum, Au = Auto, Redeflussstörung bis heute, Probleme beim Kauen und Essen),
  • Motopädie oder
  • Ergo (Wahrnehmungsprobleme, besonders im vestibulären und propriozeptiven Bereich und bei der Eigenwahrnehmung)

Die Sprache wurde später zu seinen Stärken.

Fridolins komplette Geschichte ...

... kann man in unserem Buch Dyspraxie-Kinder nachlesen.